Winkelstabile Plattenosteosynthese

Autor:  Dr. Andreas Klonz, ATOS-Praxisklinik   Fallbeispiele 1 – Fallbeispiele 2 

Die Entwicklung winkelstabiler Implantate geht insbesondere auf Anforderungen zurück, die sich  bei der Stabilisierung von Wirbelsäulenfrakturen ergaben. Die hier auftretenden hohen Wechselbelastungen mit langem Hebelarm führten häufiger zum Auslockern von Schrauben mit folgendem Repositionsverlust. Um das Heraustreten der Schrauben zu verhindern, schraubte man Metalldeckel auf die Platte (Druckplattenfixateur). Die sofortige hohe Stabilität der Schrauben-Platten-Verbindung war so beeindruckend, dass man dieses Konzept auch auf die Extremitäten übertragen wollte. Unter Berücksichtigung der geringeren Weichteildeckung musste allerdings die Aufbauhöhe deutlich reduziert werden. Die aktuellen Systeme erreichen nun eine direkte und winkelstabile Verbindung zwischen der Schraube und der Platte, meist durch eine Schraubverbindung.

Ein Gewinde im Schraubenkopf fasst in ein Gewinde im Plattenloch (Abb.1). Die Konstruktion aus Platte und Schrauben ist auch ohne die Fixation am Knochen eine stabile Einheit und ist dann in der Lage, die gesamte axiale Last zu übernehmen und vom oberen auf das untere Knochenteil zu leiten (Abb.1 und 2). Eine zusätzliche knöcherne Abstützung, also eine anatomische Einrichtung, ist nicht erforderlich. So können Trümmerzonen (Abb.2) ohne Knochentransplantat stabil überbrückt werden. Das System ist nicht vom Anpressdruck der Platte gegen den Knochen abhängig.  Um die Durchblutung der Knochenhaut nicht zu beeinträchtigen werden die Platten sogar mit kleinem Abstand zum Knochen montiert. Der Knochen wird nicht durch die Schrauben an die Platte gezogen, sondern genau in der Stellung fixiert, in der er sich befindet. Ein ganz genaues Anformen der Platte an die Knochenkontur ist deshalb nicht erforderlich. Die Platte muss dabei nicht  auf der Zuggurtungsseite liegen, sondern kann dort angelegt werden, wo die Weichteildeckung günstig ist. Schrauben können bei guter Knochenqualität kurz eingesetzt werden. Um einem Plattenbruch vorzubeugen können so die bei Belastung auftretenden Wechselkräfte von einer Spitzenbelastung der Platte auf Frakturhöhe auf eine längere Plattenlänge verteilt werden. Die Ausreißfestigkeit des Implantats ist zudem erheblich vergrößert, insbesondere wenn die Schrauben nicht parallel positioniert sind. Dies ist vor allem vorteilhaft bei der Versorgung von osteoporotischem Knochen und bei kleinen Gelenkfragmenten, in denen nur eine geringe Anzahl von Schrauben oder nur kurze Schrauben platziert werden können.

Abb. 1: Durch ein Gewinde wird die Schraube in der Platte fixiert (Kopfverriegelungschrauben). Es entsteht ein Implantat. Die axialen Wechselkräfte werden vom Implantat aufgenommen, eine knöcherne Abstützung ist nicht erforderlich. (schematische Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Firma Synthes)


Durch die genannten Eigenschaften ergeben sich prinzipiell zwei verschiedene Einsatzmöglichkeiten für das System:Abb. 2:
 Schematische Darstellung des „Fixateur interne“. Langstreckige Überbrückung einer Tibia- und einer Femurtrümmerfraktur. (schematische Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Firma Synthes)

1. Die Stabilisierung von offen reponierten Gelenkfrakturen, die insbesondere durch die geringe Größe des Gelenkfragments und durch die regelmäßig vorhandene metaphysäre Trümmerzone, sehr instabil sind. Typische Beispiele sind die distale Radiusfraktur, supradiakondyläre Oberarmfrakturen, Oberarmkopffrakturen, Tibiakopf- und Pilon tibiale Frakturen, aufklappende Osteotomien an Tibia oder Femur, sowie Fersenbeinbrüche.

2. Die „biologische Osteosynthese“ von metaphysären und diaphysären Frakturen. Die Frakturregion wird nicht eröffnet. Die Reposition erfolgt geschlossen zunächst durch Lagerung und Längszug (Ligamentotaxis). Die Platte wird über kleine Inzisionen am Knochen entlang eingeschoben. Für den distalen Femur und die proximale Tibia stehen vorgeformte Platten zur Verfügung (LISS), die mit einem Zielgerät so verbunden sind, dass die Plattenlöcher rasch aufgefunden werden können. Zur weiteren Feinreposition können Fragmente über Stichinzisionen mit Zugschrauben weiter adaptiert oder gegen die Platte gezogen werden. Durch frakturfern eingebrachte Kopfverriegelungsschrauben wird das Konstrukt aus Knochen und Platte winkelstabil fixiert und die Fraktur bis zur Ausheilung übungsstabil geschient. Typische Anwendungen sind gelenknahe Frakturen der proximalen und distalen Tibia und des distalen Oberschenkels, inklusive periprothetischer Frakturen. Bei intraartikulärer Fraktur  ist dabei auch eine zunächst offene Rekonstruktion der Gelenkfläche mit anschließender geschlossener Überbrückung der metaphysären Trümmerzone möglich.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die internen winkelstabilen Systeme der operativen Knochenbruchbehandlung begeisternde neue Möglichkeiten zur Verfügung stellen und eine Lösung für bestimmte Problemfälle darstellen.
Die internen, winkelstabilen Implantate zur Stabilisierung  von Knochenbrüchen und Osteotomien sind mehr, als nur eine weitere Entwicklung auf dem großen Markt des industriellen Angebots. Sie stellen konzeptionell eine neue Form der Knochenbruchbehandlung dar.